Rede Saphir Ben Dakon am Eröffnungsanlass der nationalen Aktionstage Behindertenrechte

Vision einer inklusiven Gesellschaft

Die Rede spielt in einer fiktiven Zukunft und nimmt die Zuhörden mit in eine Realität, in der die UN-BRK bereits umgesetzt ist. Über Storytelling nimmt Saphir Ben Dakon die Anwesenden mit und zeigt individuellen Handlungsspielraum auf. Lesen Sie mehr und lassen Sie sich inspirieren!

Liebe Anwesende

Mein Name ist Saphir Ben Dakon, ich bin 1.50 Meter gross, habe mittellange braune Haare, braune Augen und eine auffällige goldene Brille mit rotem Rand.

In meinem Beitrag geht es heute um das Thema Behinderungen. Bei anderen Anlässen ist das erwähnenswert, den Behinderung wird oft als Randthema behandelt. Der Auftrag besteht oft lediglich darin, einen kleinen Impuls zu setzten, zu sensibilisieren, wie man so schön sagt. Das ist heute anders. Ich darf zu Ihnen sprechen. Zu Menschen, die Inklusion als notwendig erachten und sich für mehr Partizipation einsetzten möchten. Wir hier in diesem Raum leben Inklusion. Das ist eine tolle Ausgangslage. 

Leben bedeutet aber auch immer Entwicklung. Zu Veränderung / Entwicklung, das weiss ich aus meiner beruflichen Tätigkeit als Transformationsmanagerin, gehört immer eine klare Vision. Diese Vision von Inklusion möchte ich heute mit Ihnen vertiefen. Es ist nicht meine Vision.  Sie  ist  die  Zielvorstellung  aller  Menschen,  die  an  der  Erarbeitung  der  UN-BRK mitgewirkt haben und sie bis heute ideell unterstützen. 

Stellen wir uns also gemeinsam vor, die UN-BRK wäre umgesetzt und wir lebten bereits in einer inklusiven Gesellschaft. In der heutigen Situation ein radikaler Gedanke. Lassen wir ihn auf uns wirken. Sind Sie bereit für einen Sprung in die Zukunft? Dann machen Sie es sich bequem lassen Sie Inklusion auf sich wirken.

Wir befinden uns an einem unbestimmten Tag in ferner Zukunft an einer Bushaltestelle. Es ist schönes Wetter.  Unsere Stimmung ist gut. Menschen mit Behinderungen  in unserer Gemeinschaft werden nicht mehr einfach gefragt, was sie denn um diese Zeit hier machten und mit wem. Sie müssen sich auch nicht mehr ständig erklären. Es wird nicht mehr gefragt, was  denn  hier  um  diese  Zeit  machten  und  mit  wem. Man  begrüsst  sich  mit  einem selbstverständlichen «Hallo».

Wir stehen in kleinen Gruppen herum, diskutieren und lassen unsere Umwelt auf uns wirken. Die Menschen ohne Behinderungen werden währenddessen auch nicht gefragt, ob sie denn die Betreuer*innen der Personen mit Behinderungen seien und auch noch dafür gelobt, dass sie mit ihnen Zeit verbringen. Lob erhält man in Zukunft nur noch für ausserordentliche Dinge.

Allen Menschen an der Bushaltestelle ist klar, wir könnten eine Mannschaft auf dem Weg zu einem Turnier sein oder eine Gruppe Freunde, die gemeinsam an ein Konzert geht. Das kommt niemandem komisch vor, denn Menschen mit Behinderungen werden schon seit Jahrzehnten mitgedacht. Sie sind Teil einer Kultur, die nicht mehr auf Ableismus beruht.

bleismus: Die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen ist systemisch. Sie wird über Sprache, Bilder und Handlungen transportiert. In den Strukturen unserer Gesellschaft und ihrer Institutionen wird Ableismus reproduziert und zementiert. Es ist ein geschlossenes System, dem sich niemand entziehen kann. Zeit, dass wir es aufbrechen. 

Freizeit gibt es immer noch, wir arbeiten noch nicht 24 Stunden. Nun müssen Menschen mit Behinderungen  sich  aber  nicht  mehr  von  ihrem ewigen  Kampf  um  Anerkennung  und Unterstützungsleistungen erholen, denn die Subjektfinanzierung inklusive Assistenz existiert flächendeckend für alle Lebensbereiche.
 
Jetzt dürfen sich die Menschen von einem Arbeitstag und von Arbeit erholen, die ihnen Freude bereitet, bei der sie gleich viel verdienen, wie ihre nicht-behinderten Peers und die es ihnen ermöglicht, eine unabhängige Lebensführung zu bezahlen. Dies ist auch, weil die zuvor angesprochenen Unterstützungsleistungen nicht mehr in seggregative Strukturen fliessen, in denen Menschen mit Behinderungen mehr Business Modell, als Mensch sind.

Sie sind gleichgestellte Menschen seit Geburt. Eltern von Kindern mit Behinderungen erhalten schon lange keine Beileidsbekundungen mehr, sondern Unterstützungsangebote. Sie dürfen ihr Familienleben geniessen und müssen die Existenz ihrer Kinder nicht mehr rechtfertigen.
Die Geburtenrate ist gestiegen, auch weil Menschen mit Behinderungen immer öfters Eltern werden. Ob sie in einer Partnerschaft mit oder ohne Kinder leben möchten, entscheiden sie selbstbestimmt.  Weder  die  Partnerperson  noch  die  Kinder  werden  als  Opfer  dieser Entscheidungen angesehen.

Wenn wir bereits von Kindern sprechen: Neben uns steht eine Gruppe Kinder, die sich auf dem Schulweg befindet. Obwohl Schule digitaler geworden ist, ist Präsenzunterricht nach wie vor wichtig für Interaktion und Sozialisation. Kinder lernen in einem inklusiven Bildungssystem, in dem sie nicht für Herausforderungen verantwortlich gemacht werden, sondern Verantwortung für ihren Bildungserfolg übernommen wird.
Der Bus verspätet sich. Diese Information wird über das 2-Sinnesprinzip an alle Personen weitergegeben.  Sie  ist auch  digital barrierefrei  zugänglich. Genauso  wie  alle  anderen Informationen in der digitalen Welt, wie auch immer sie dann aussehen mag.

Schiesslich kommt der Bus doch noch an und alle Menschen können einsteigen, ohne dabei einen Hindernisparcours überwinden zu müssen und sich Gefahren auszusetzten. Wissen Sie noch, wie es war, als Menschen an den Stationen zurückbleiben mussten, weil die Trams nicht hindernisfrei waren. Ich auch nicht, der ÖV ist nun 100% barrierefrei.
Während der Busfahrt werden wir nicht angestarrt. Keine genervten Blicke werden getauscht, wenn  wir  aussteigen.  Zudem  fragt  uns  auch  niemand,  was  wir den  hätten.  Was  denn Schlimmes passiert und im Leben falsch gelaufen sei. Auch wir sind private Mitmenschen.
Wir  steigen  aus,  an  einer  anderen  Haltestelle  als  geplant.  Keine  Zwischenfälle,  keine Überraschungen. Auch was die Kenntnisse zum Leben mit Behinderungen betrifft, tappen wir nicht  mehr  im  Dunkeln.  Die  nötigen  Zahlen, um  Massnahmen  zur  Verbesserung  der Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen zu ergreifen, wurden alle erfasst.
Die Zahlen wurden zudem nahe an den Lebensrealitäten erhoben, beziehen Intersektionalität also mit ein. So wurden zum Beispiel Massnahmen ergriffen, um der Mehrfachdiskriminierung von Frauen mit Behinderungen entgegenzuwirken. Sie sind heute nicht mehr stark gewalt- und armutsgefährdet. 

Wo  Zahlen  gefehlt  haben,  diente dies  nicht  als  Vorwand  für  Untätigkeit. Auch  bei  der sprachlichen  Zugänglichkeit  ist  man  tätig  geworden.  So  existiert  flächendeckende Übersetzung aller  Landessprachen  in  die  Gebärdensprache  und  sie  ist  offiziell  als Landessprache anerkannt.

Auf dem Weg zu unserem Ziel sprechen wir alle miteinander über den Anlass, den wir gemeinsam  besuchen  wollen:  Die  Eröffnung  einer historischen Ausstellung  zu  «Zukunft Inklusion». Wir erhalten eine Führung, die Hindernisfreiheit ist gar nicht mehr erwähnenswert. Wie immer und überall halten dann doch einige Politiker*innen Eröffnungsreden. Wer eine Behinderung  hat  und  wer  nicht,  ist  dabei  nicht  der  Rede  wert. Alle Menschen können am politischen Leben partizipieren, wählen, abstimmen oder sich wählen lassen. Wahlen und Abstimmungen funktionieren auch digital und Informationen sind in leichter Sprache verfasst und zugänglich.Nach dem Pflichtteil gibt es eine Party. Die Besuchenden der Ausstellung befragen Zeitzeugen ungläubig und bestaunen den Weg, den sie gegangen sind. 

Sie haben es bemerkt? Wir sind gemeinsam die wichtigen Artikel der UN-BRK durchgegangen. Wir haben sie zum Leben erweckt. Nun zurück zu unserer Realität hier im Raum. Zurück zum Weg, der noch vor uns liegt. Wenn wir das Tempo weiterhin erhöhen, können wir diese Zeitzeugen sein, die einer nächsten Generation erklären, warum diese Inklusionsbewegung wichtig war. Wir können erzählen, von den tollen Initiativen, die heute und in den weiteren Tagen gestartet wurden und Bestand hatten. Wir können berichten, wie wir einen Einfluss auf die tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen hatten.

Ich freue mich darauf, diese Initiativen mit Ihnen im nächsten Monat zu erleben. Lassen wir gemeinsam die Vision der UN-BRK Wirklichkeit werden. Die Zukunft ist jetzt, sie entwickelt sich mit uns allen. 

Doch bereits heute wage ich unseren gemeinsamen Besuch in der historischen Ausstellung zu Zukunft Inklusion zu planen. Denn unsere Anwesenheit hier ist eine Verpflichtung zu Inklusion.  Nur  so  können  wir  das  Heute  radikal  verändern,  damit  «Zukunft  Inklusion» Wirklichkeit wird.

 

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