Gemeindeforum 2023 - UNO-Behindertenrechtskonvention: Umsetzung in den Gemeinden
Rede Saphir Ben Dakon
Im Rahmen des Gemeindeforums 2023 hielt ich eine Rede zum Thema "Hindernisse und ihre Auswirkungen auf das Leben von Menschen mit Behinderungen". In dem Beitrag ging es um sichtbare und unsichtbare Hindernisse. Das Ziel war, diese wahrnehmbar für die Gesamtbevölkerung zu machen und für die Verantwortlichen in den Gemeinden Handlungsspielräume aufzuzeigen.Dafür definierte ich drei Grundhaltungen, welche Inklusion bis heute verhindern und bereitete das Thema anhand dieser verbreiteten Haltungen auf.
Um das Thema ebenfalls visuell aufzugreifen, verschwand ich während der Aufzählung der Hindernisse jeweils hinter einer sichtbaren Barriere. Diese wurde bei der Erklärung von Lösungsansätzen jeweils wieder entfernt. Dadurch konnte die Wirkung von Inklusion und die Wichtigkeit des eigenen Handlungsspielraums erkannt werden.
Sind Sie ebenfalls an einem solchen Input intressiert? Ich freue mich über Ihre Kontaktaufnahme und wünsche viel Spass beim Lesen!
Gemeindeforum 2023 - UNO-Behindertenrechtskonvention: Umsetzung in den Gemeinden
Liebe Anwesende
Mein Name ist Saphir Ben Dakon, ich bin 1.50 gross, habe mittellange braune Haare, braune Augen und eine auffällige goldene Brille mit rotem Rand.
Mein Beitrag soll Hindernisse und ihre Auswirkungen auf das Leben von Menschen mit Behinderungen beleuchten. Hindernisse gehen weit über das hinaus, was wir sofort wahrnehmen können. Vieles bleibt damit unsichtbar, unhörbar oder auch untastbar, wenn wir uns nicht damit befassen. Damit wir also über Hindernisse sprechen können, muss ihre Unwahrnehmbarkeit erfassbar sein. Dafür braucht es alle von uns. Mein Input soll eine Einladung sein, sich auf diese Reise zu begeben und damit Unwahrnehmbares zu erfassen. Ich würde mich freuen, wenn Sie ihr folgen.
Ich stelle mir die Arbeit auf einer Gemeinde sehr spannend vor. Um den bunten Strauss an Aufgaben zu bewältigen, braucht es sicher jede* und jeden*. Zudem treffen Sie bestimmt auf viele unterschiedliche Menschen und müssen mit den verschiedensten Stellen und Personen zusammenarbeiten und dabei zeitgleich zahlreichen Ansprüchen gerecht werden. Ich stelle mir vor, dass dies zeitweise sehr belastend sein kann. Vielleicht empfinden Sie es manchmal deshalb so, als würde Ihre Arbeit nicht gesehen, als würden Ihre fachlichen Inputs nicht genügend berücksichtigt und ihre Bedürfnisse nicht ernstgenommen.
Eine solche Gefühlslage kann ich gut verstehen. Alle Menschen mit Behinderungen, die ich kenne, fühlen sich genau so, mich eingeschlossen. Dass ich heute mit Ihnen darüber sprechen kann, tut gut, baut aber leider noch keine Hindernisse ab. Aber wir können heute üben, sie abzubauen. Trocken, sozusagen. Das mit den Hindernissen nehmen wir dabei wörtlich, denn ich werde manchmal hinter den Hindernissen verschwinden.
Scherrengitter vor Saphir Ben Dakon
«Menschen mit Behinderungen sollten dankbar sein, dass die Gesellschaft und ihre Gemeinden etwas für sie tut.»
Wenn eine solche Haltung vorherrscht, werden Menschen mit Behinderungen in der persönlichen Interaktion auch entsprechend behandelt. Es wird damit impliziert, dass es sich bei Umsetzung von ihren Anliegen um Wohlfahrt handelt. Dadurch...
- Werden Menschen mit Behinderungen herabgesetzt und es findet ein Rückzug ins Private statt. Sie gelangen mit ihren Anliegen nicht mehr an die entsprechenden Stellen und Bedürfnisse bleiben unerkannt.
- Projekte zur Förderung von Inklusion werden nur halbherzig und ohne Einbezug von Menschen mit Behinderungen konzipiert und umgesetzt. Es entstehen Fehlentscheide und Menschen mit Behinderungen beschweren sich zurecht, was ihnen wiederum negativ ausgelegt wird. Diese stetigen Auseinandersetzungen machen vielen Menschen psychisch zu schaffen.
- Es wird davon ausgegangen, dass nur die Gesellschaft «tut» und die Menschen mit Behinderungen eben nicht. So werden Menschen mit Behinderungen nicht als Personen wahrgenommen, welche aktiv ihr Leben gestalten und teilhaben wollen.
Als Konsequenz wird;
- nicht an den barrierefreien Zugang zu Informationen gedacht,
- oder daran, dass Menschen mit Behinderungen sich auch im öffentlichen Raum bewegen müssen und dieser barrierefrei zugänglich sein muss
- Menschen werden von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen, indem nicht nur Informationen nicht barrierefrei sind, sondern auch Veranstaltungsorte.
Scherrengitter stetig ein bisschen weiter weg von Saphir Ben Dakon
Darum wäre es wichtig;
- sich mit dem Thema Inklusion auseinanderzusetzen.
- Mit Menschen mit Behinderungen in den Gemeinden in einen Dialog treten und sie in Entscheidungsprozesse miteinbeziehen. Wie alle Menschen in einer Gemeinde sind auch sie von Änderungen betroffen.
- Die Informationen rund um das Gemeindeleben inkl. politische Entscheide sollten analog und digital barrierefrei zugänglich sein.
- Die Gemeindegebäude müssen barrierefrei zugänglich sein und wo es im Einflussbereich der Gemeinde liegt auch der öffentliche Raum.
So, die ersten Hindernisse haben wir schon ausgeräumt. Aber wir wissen, in der Inklusion gibt es noch viel zu tun. Deswegen machen wir doch gleich weiter.
«Menschen mit Behinderungen, respektive ihre Inklusion, kosten nur und bringen keinen Mehrwert.»
Wenn eine solche Haltung vorherrscht, werden Menschen mit Behinderungen als Kostenfaktor behandelt. Dadurch:
- Werden die günstigsten und nicht die inklusivsten Lösungen gesucht. Unter Umständen wird durch die «Lösung» ein Hindernis weder behoben noch verschoben.
- Werden die Kompetenzen und Potentiale von Menschen mit Behinderungen nicht erkannt und sie können diese nicht in ihrem Umfeld einbringen. Auch nicht in Ihrer Gemeinde
- Ansätze zur Umsetzung von Inklusion werden bei der Verabschiedung eines Budgets nicht berücksichtigt oder zumindest nicht priorisiert.
- Die Verantwortung für die Teilhabe von Mitmenschen wird im Falle von Menschen mit Behinderungen nicht wahrgenommen.
Scherrengitter stetig ein bisschen weiter weg von Saphir Ben Dakon
Auch diese Herausforderungen kann man lösen und zwar folgendermassen:
- Menschen mit Behinderungen von Anfang an in die Konzeption von Massnahmen in ihrer Gemeinde miteinzubeziehen.
- Menschen mit Behinderungen wie alle anderen Mitmenschen über den Stand ihrer Anliegen informieren, barrierefrei natürlich.
- Gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen aus der Gemeinde die unterschiedlichen Massnahmen priorisieren.
- Sich bewusst machen, dass alle Massnahmen kosten und auch Inklusion kosten darf.
Das war jetzt schon wieder sehr anstrengend. Beleuchten wir noch eine Haltung und dann übergebe ich an meine Nachredner*innen.
Scherrengitter vor Saphir Ben Dakon
«Menschen mit Behinderungen sollen dort leben, wo sie versorgt werden.»
Wenn eine solche Haltung vorherrscht, wird davon ausgegangen, dass Menschen mit Behinderungen gar nicht selbstbestimmt in einer Gemeinde leben wollen. Dadurch...
- Werden Arbeitsstellen bei der Gemeinde nicht inklusiv gestaltet und interessierte Personen können sich nicht bewerben.
- Notfallsammelpunkte sind was bauliche Zugänglichkeit und Zugänglichkeit der Informationen betrifft, nicht barrierefrei.
- Werden von den Gemeinden mitfanzierte Freizeitanlässe nicht auf ihre Barrierefreiheit geprüft und der Zugang für Menschen mit Behinderungen erschwert oder sogar verunmöglicht. So wird eine Inklusion in die Gemeinde erschwert und Verantwortliche für wichtige öffentliche Angeboten wie z.B. Bibliotheken oder Museen werden nicht sensibilisiert.
- Menschen müssen, wenn sie behindert werden, z.B. durch Alter, ihre Gemeinde verlassen, weil keine zugänglichen Wohnungen gefördert werden.
- Institutionen für Wohnen und Beschäftigung ermöglichen den Bewohnenden kein selbstbestimmtes Leben.
- Menschen mit Behinderungen bleiben im Gemeindebild unsichtbar.
Auch hier gibt es Lösungsvorschläge:
Scherrengitter stetig ein bisschen weiter weg von Saphir Ben Dakon
- Zu schauen, wie Arbeitsstellen in den Gemeinden für Menschen mit Behinderungen zugänglich werden. So fühlen sich auch Menschen mit Behinderungen repräsentiert, wenn sie in der Verwaltung vertreten sind.
- Die Notfallsammelpunkte mit Menschen mit Behinderungen auf ihre Barrierefreiheit zu prüfen.
- Mit Vereinen zusammenzuarbeiten und als Gesamtgemeinde zu prüfen, ob lokale Unterstützungsangebote konzipiert werden können.
- Davon auszugehen, dass auch Menschen mit Behinderungen Freizeitangebote nutzen möchten und im Rahmen der Möglichkeiten der Gemeinde zu ihrer Barrierefreiheit beizutragen.
- Wohnen in der Gemeinde unter dem Blickpunkt von Selbstbestimmtheit zu prüfen.
Jetzt haben Sie sich während meiner Ausführungen gedacht, «Dass weiss ich bereits» oder «Jenes tun wir doch schon». Und genau darauf will ich hinaus. Sie tun schon vieles, was vielleicht bis jetzt gar nicht unter dem Label «Inklusion» passiert ist. Sie helfen bereits, Hindernisse abzubauen. Mit ihrer Arbeit, jeden Tag. Und Sie haben gesehen, es braucht Sie. Denn ohne engagierte Menschen in den Gemeinden, kann ich als Mensch mit Behinderungen keine Hindernisse abbauen. Können wir als Menschen mit Behinderungen keine Hindernisse abbauen. Nicht alle zuvor genannten Hindernisse betreffen mich persönlich. Daher kann ich sagen, ohne uns, ohne die Gesellschaft, können wir keine Inklusion erreichen.
Heute stand ich allein auf dieser Bühne. Aber Sie sehen, so gross ist diese Barriere nicht. Wären wir gemeinsam auf dieser Bühne gestanden, hätten wir uns so bewegt, dass alle Platz gehabt hätten. Irgendwann wäre ich für alle Menschen sichtbar, meine Unwahrnehmbarkeit wahrnehmbar geworden. So verhält es sich auch mit den Hindernissen. Sie scheinen nur gross, wenn man ihnen allein begegnen muss.
Aus logistischen Gründen ist dies leider nicht möglich, aber ich stelle es mir gerne vor, dass wir nach meinem Input und auch über diesen Anlass hinaus, gemeinsam auf der Bühne stehen, sitzen oder liegen. Auf der Bühne des Lebens sinnbildlich gesprochen. Sie haben Macht und können etwas bewegen, weil Sie als Person jeden Tag die Chance haben, Stein für Stein allein und gemeinsam mit ihrer Gemeinde, die Hindernisse abzutragen. Wenn das einmal nicht geht, haben Sie immer die Möglichkeit einer Person auf Augenhöhe zu begegnen, sich neben Sie zu stellen und Sie in gemeinsamer Absprache im Umgang mit den Hindernissen zu unterstützen.
Ich habe Sie zum Beginn meines Inputs gebeten, meiner Einladung zur Inklusion zu folgen. In meinen abschliessenden Worten möchte ich Sie unverschämterweise nochmals um etwas bitten. Gehen Sie voraus, lassen Sie sich ein, auf das Thema Inklusion. Entdecken Sie Spannendes. Teilen Sie Ihre Gedanken und Lernen Sie Neues. Gehen Sie weiter und betreten Sie auch neue Pfade. Fangen Sie an oder machen Sie weiter. Heute. Mit diesem Anlass. Ich würde mich freuen, Sie auch in Zukunft auf unserem gemeinsamen Weg wieder anzutreffen.
Reporter:innen ohne Barrieren, Nicole Haas, hat über meinen Input berichtet: Den Artikel finden Sie hier.
Der Regionalsender TeleZ hat den Anlass begleitet. Den Beitrag finden Sie hier.