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Extrem-After-Lunch-Speaker-Club: Mit Saphir Ben Dakon zum inklusiven Bildungssystem

Saphir Ben Dakon als charismatisch zu bezeichnen ist schon fast untertrieben: Die Inklusions- und Kommunikationsexpertin stellte mit einer Powerpräsenz auf Deck dar, dass das Schiff der Inklusion/Integration nicht gekentert sein kann: Es ist noch gar nicht richtig aus dem Hafen ausgelaufen!

Inklusive Bildung ist ein Grundrecht in der UN-Behindertenrechtskonvention: Es gibt keine Inklusion in segretativen Strukturen. Es gilt das lebenslange Recht aufs Lernen. Mit einem Lächeln wünschte sie sich manchmal «dass Gegner:innen der inklusiven Bildung von diesem Recht Gebrauch machen und ihre Perspektive ändern würden …»

Vieles im aktuellen Bildungssystem schafft für alle Hürden, nicht nur für behinderte Menschen. Es sei Zeit, diese abzubauen. Oft werde weder gefordert noch gefördert, sondern einfach verwaltet. Umso wertvoller sei das Engagement aller Bildungsfachkräfte, die sich heute aktiv für den Abbau von Bildungsdiskriminierung tagtäglich in den Schulen einsetzen: ein grosses Dankeschön dafür.

Quelle: Text des Verbands Schuleiterinnen und Schuleiter Schweiz.

Die Rede findet sich im Blogpost.

Rede von Saphir Ben Dakon aus dem Gedächnis

Ja, du ermutigst mich, dass ich auf Bergen stehen kann. Du ermutigst mich, um auf stürmischen Meeren zu gehen. Ich bin stark, wenn ich auf deinen Schultern bin. Du baust mich auf zu mehr, als ich je sein kann.

Der Song von Brendan Graham, den wir gerade gehört haben, wird unterschiedlich interpretiert. Die einen sagen, es widerspiegle die Hoffnung des Menschen in Gott, die anderen meinen, es ginge um die Beziehung zwischen zwei Menschen.

Einen solch grossen Interpretationsspielraum lässt der Begriff der inklusiven Schule nicht zu. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist diesbezüglich ziemlich eindeutig. Inklusion passiert niemals in seggregativen Strukturen.

Oder einfacher gesagt: Das Bildungssystem ist für alle da. So sagt es zumindest Artikel 24. Artikel 24 garantiert Menschen mit Behinderungen das Recht auf Lebenslanges Lernen. Ein Recht, welches für Menschen, die sich gegen inklusive Bildung einsetzten, allzu oft selbstverständlich scheint. Ich hoffe, sie machen in Zukunft von ihrem Recht Gebrauch und ändern die Perspektive.

Ich, das ist Saphir Ben Dakon, ich bin 1.50 Meter gross, habe mittellange braune Haare, braune Augen und eine auffällige goldene Brille mit rotem Rand. Und ich war einmal eines dieser Kinder, das heute im öffentlichen Diskurs so gern als schwierig bezeichnet wird.

Ich bezeichne mich heute als Inklusions- und Kommunikationsexpertin. Daher würde ich den Begriff «schwierig» mit euch vor den Gesichtspunkt der Inklusion beleuchten.

Schwierig finde ich, dass viele Stimmen das inklusive Bildungssystem für ein sinkendes Schiff halten, obwohl es noch nicht einmal wirklich aus dem Hafen ausgelaufen ist. Wenn das so ist, wurde es dann nicht eher schon falsch konstruiert?

Schwierig finde ich, dass weiterhin viele Ressourcen in seggregative Strukturen fliessen, obwohl Erkenntnisse aus der Praxis zeigen, dass inklusiven Strukturen nachhaltig über ein gesamtes Leben Wirkung erzielen.

Schwierig finde ich, dass Bildung so zu einem Privileg, nein sogar einem Produkt verkommt, dass man nur nutzen darf, wenn man gewisse Voraussetzungen erfüllt. Nein, schlimmer noch, wenn durch den angestrebten Bildungserfolg Wert generiert wird.

Eine Gleichung, die immer zuungunsten von Menschen mit Behinderungen ausgeht. Denn was und vor allem wer Wert hat bestimmen Menschen ohne Behinderungen. Ergebnis: Inklusive Bildung ist wertlos und das soll ein wertfreies Statement sein?

Ja, es sei halt schwierig und das System überfordert. Die Akzeptanz der nicht-behinderten Menschen schwinde, dass müsse man unbedingt verhindern. Was für ein ableistisches System, kein Wunder das es überfordert ist.

Ableismus: Die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen ist systemisch. Sie wird über Sprache, Bilder und Handlungen transportiert. In den Strukturen unserer Gesellschaft und ihrer Institutionen wird Ableismus reproduziert und zementiert. Es ist ein geschlossenes System, dem sich niemand entziehen kann. Zeit, dass wir es aufbrechen.

Schwierig finde ich, dass wir für die menschengemachte Überforderung im System Schuldige suchen. Behinderung ist keine Frage von Schuld, für die man Verantwortung übernehmen muss. Weder bei der Geburt noch bei der Einschulung.

Schwierig finde ich, dass die Kinder für die Herausforderungen verantwortlich gemacht werden, anstatt das Verantwortung für ihren Bildungserfolg übernommen wird. Und keine Angst ich kritisiere keineswegs die Fachpersonen, die alles in ihrer Macht Stehende tun und dabei pausenlos vom System behindert werden.

Schwierig finde ich, dass wir nicht über Anpassungen sprechen, die Zugänge in eben dieses nicht-hindernisfreie Umfeld ermöglich. Nein, über Zugangs-Bedürfnisse wie die von mir eingangs verwendeter visueller Selbstbeschreibung wird oft gelacht.

Nur lustig, ich glaube da sind sich Gegner*innen und Befürworter*innen einig, ist das Ganze nicht Über die paternalistische Führsorge, die mich vor Überforderung schützen sollte und die anderen Kinder vor mir, über die kann ich nicht mal im Nachhinein lächeln.

Ich kann ihnen versichern, in einem solchen System wird weder gefordert noch gefördert, sondern nur verwaltet. Doch Bildungswege sind geprägt von Auf und Abs, neuen Erkenntnissen und der Entdeckung der eigenen Talente. Da kann man durchaus auch mal scheitern.

Deswegen sage ich immer, dass die UN-BRK, um das Recht zu scheitern ergänzt werden sollte. Es scheint mir aber mein ganzes Leben schon so, dass Menschen mit Behinderungen dies nicht dürfen, weil das für andere dann die Arbeit schwieriger macht.

Das finde ich doch sehr interessant, scheint man in gewissen Kreisen kein Problem damit zu haben, die inklusive Bildung vorschnell als gescheitert zu deklarieren. Ich sage wir hier in diesem Raum, die an den Wert von Bildung glauben, sollten diesen Stimmen keineswegs das Steuer überlassen.

Es ist Zeit, dass wir gemeinsam, die Ganze Besatzung auf diesem Schiff Schule konsequent die Umsetzung der Vision einer Schule für alle an allen nötigen Stellen einfordern und zu dieser in unserer täglichen Arbeit beitragen.

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